Hotlistlesen (1) – Eine überflüssige Frau von Rabih Alameddine

Hotlist Logo 2016Guter Stoff nennt der Louisoder Verlag die Serie, in der Eine überflüssige Frau von Rabih Alameddine erscheint – „gemeinsam haben sie eins: Sie sind süffig und garantieren Lesespaß.“ Was die Geschichte von Aaliya angeht, so trifft dies auf jeden Fall zu, obwohl oder gerade weil sie sich ganz langsam, fast unmerklich ins Gehirn des Lesers schleicht, als ob sie nicht zu viel Aufmerksamkeit beanspruchen wollte. Die Hauptfigur, 72-jährig, ehemalige Buchhändlerin, lebt umgeben von Büchern allein in ihrer Wohnung in Beirut. Sie ist zurückhaltend bis menschenscheu und beschränkt ihre Kontakte zur Außenwelt auf ein Minimum. Wodurch sie sich definiert, ist, neben dem Lesen und der Kenntnis unzähliger Werke der Weltliteratur, das Übersetzen. Immer am 1. Januar nimmt sie sich ein Buch vor, das sie im Laufe des folgenden Jahres ins Arabische übersetzen wird. Fertige Manuskripte werden in Kisten gepackt und in der Wohnung gestapelt – niemand außer Aaliya selbst bekommt ihre Übersetzungen zu sehen. Zu Beginn der Erzählung steht eine neue Übersetzung unmittelbar bevor, aber dann tauchen Menschen in Aaliyas Leben auf, sowohl in ihrer Erinnerung als auch vor der Wohnungstür, die sich nicht ignorieren lassen.

Die zweite Hauptfigur neben Aaliya ist die Stadt Beirut. Auch wenn sie sich selbst zuerst als Eigenbrötlerin darstellt, die sich nur in ihren eigenen vier Wänden wohlfühlt und die Welt weitgehend aussperrt, so wird schnell klar, wie verbunden sie sich ihrer Heimat tatsächlich fühlt; dass sie durch die Verstrickung ihres Lebens mit der jüngeren Geschichte der Stadt zu der werden konnte, die sie nun ist. Gewalt und Krieg sind natürlich zu ihr durchgedrungen; sie hat Unglück und Tod gesehen, sie hat Menschen gekannt, die getötet wurden, und sie hat im Familien- und Freundeskreis erlebt, wie sich die Männer durch den Krieg verändert haben. Sie beobachtet das gegenwärtige Beirut aufmerksam, weil sie frühere Bilder der Stadt, die sich immer wieder verändern musste, im Kopf hat. Oft erscheint es ironisch und beklemmend zugleich, wie sehr sich der Krieg in das Denken und Sprechen der Menschen eingenistet hat: „Das Viertel, in dem ich aufgewachsen bin, ist nicht weit weg – keinen Stein-, einen Granatenwurf weit weg.“
Gleichzeitig hat Aaliya einen ganz eigenen Humor und einen lakonischen Umgang mit den Dingen entwickelt, da sie sowohl an die ständige Bedrohung wie auch an die fehlende Infrastruktur gewöhnt ist. Ihr Anstoß, darüber nachzudenken und Vergleiche anzustellen, ist selbstverständlich die Literatur:
„Meine Bücher verraten mir, wie das Leben in einem zuverlässigen Land ist, wo man einen Schalter anknipst und sich sicher sein kann, dass eine Glühbirne aufleuchtet und auch nicht wieder ausgeht; wo man sich darauf verlassen kann, dass Autos bei Rot anhalten und dass die Ampeln nicht ein paarmal am Tag ausfallen. … Wenn Züge pünktlich sind (wenn Züge fahren, Punkt), wenn ein Freizeichen erklingt, sobald man einen Hörer abnimmt, wird das Leben zu vorhersehbar? Sind die Deutschen angesichts dieser grundsätzlichen Verlässlichkeit gelangweilt? Erklärt das den Zauberberg?“

Wie man unschwer erkennen kann, ist Eine überflüssige Frau die Geschichte einer lebenslangen Lektüre. Das Leben und die Werke von Dichtern und Philosophen sind ein Teil von Aaliyas Weltsicht, und so fließen Zitate ganz natürlich in den Text ein. Auch der Titel des Romans entspringt der Lektüre Aaliyas (und des Autors), er verweist auf den polnisch-jüdischen Schriftsteller und Zeichner Bruno Schulz, der 1942 ein Opfer des Holocaust wurde. Nach der Besetzung Polens durch die Deutschen fand er in einem SS-Hauptscharführer einen Gönner und wurde aufgrund seiner künstlerischen Begabung als „nützlicher Jude“ klassifiziert, was ihm schließlich jedoch nicht das Leben retten konnte. Diese Frage, ab wann ein Menschenleben als „nützlich“ oder erinnerungswürdig gilt, beschäftigt Alameddine besonders, wie er in einem Interview mit dem Magazin Guernica deutlich macht. Würde Aaliya in den Augen mancher als überflüssig gelten, weil sie wenig Spuren hinterlassen hat und ihr monumentales Übersetzungswerk streng geheim hält? Der Autor führt Kafka und Pessoa als ähnliche Beispiele aus der Literatur an. Aber auch in der zeitgenössischen Philosophie wird die Frage nach der Wahrnehmung, ab wann ein Leben als lebenswert gilt, immer wieder aufgegriffen, so etwa von Giorgio Agamben in seinem Konzept des homo sacer.

Rabih Alameddine hat bereits fünf Romane veröffentlicht, von denen einer, The Hakawati, in den USA ein Bestseller war. Seine Bücher schreibt er auf Englisch, erst eines davon wurde ins Arabische übersetzt. Er lebt zum Teil in San Francisco, zum Teil in Beirut. So ist er in beiden Kulturen zuhause, aber doch nicht ganz; für seine Freunde in Beirut gilt er laut eigener Aussage als sehr amerikanisch, für die in den USA wiederum als libanesisch. Diese gewisse Distanz des Autors zu beiden Kulturen macht wohl auch die Beobachterposition Aaliyas aus, die ihre Heimatstadt trocken, gnadenlos, aber auch herzlich beschreiben kann: „Zur Hölle, Beirut hat Tausende von Jahren überlebt, weil es seine schönen Beine für jede Armee in Reichweite breit gemacht hat. Glauben Sie wirklich, die Hure war aus Babylon? Die aus Babylon war eine Amateurin. Beirut, mein liebes Beirut.“

Es handelt sich hier um das erste ins Deutsche übertragene Werk Alameddines, die Übersetzung stammt von Marion Hertle. Diesem Handwerk oder dieser Kunst, über die man als Leser, der das Endprodukt in der Hand hält, oft nicht nachdenkt, wird in Eine überflüssige Frau Respekt gezollt. Als Autodidaktin hat Aaliya sich mit verschiedenen Herangehensweisen beschäftigt und letztendlich ihre ganz spezielle Methode gefunden. Bei ihren Ausführungen wird klar, wie viel von einer Übersetzung schlussendlich abhängt, um wie viel verständlicher oder unverständlicher sie ein Werk machen kann, aber auch, wie viel ein Übersetzer von sich selbst und seiner Kultur einbringen kann.

Miriam Mairgünther (Gastrezensentin der Buchkultur)

978-3-944153-30-8

  • Rabih Alameddine: Eine überflüssige Frau. München: Louisoder Verlag 2016. Ins Deutsche von Marion Hertle. 448 Seiten. 24,90 Euro

 

Masuko von „We read Indie“ hat den Roman hier besprochen.

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