Lydia Haider/Esther Straganz: Am Ball (RDE)

Diese Gleichheit von Zeit ist allein schon ein Coup: Pünktlich zum diesjährigen Wiener Akademiker Ball am 25. Januar erscheint Am Ball von Lydia Haider und Esther Straganz und es wird unweit des Festortes der Hofburg stilvoll daraus gelesen. Was die einen rechts Walzen lässt, ist den Autorinnen Grund für eine splattermäßige, unzimperliche Bestandsaufnahme des dortigen Treibens.

Haider steht für einen „ungebärdigen, herrischen Sound“, ihr Schreiben tobt, entgrenzt, bricht Gesprochenes in Geschriebenes. Erst vor wenigen Monaten erschien ihr furoremachendes Lamento Wahrlich fuck you du Sau, bist du komplett zugeschissen in deinem Leib drin. Zehrung Reiser Rosi. Ein voll- und hochtönender, schriller Gesang (so auch der Untertitel: Ein Gesang), der wach macht angesichts gesellschaftlicher und politischer Zustände (siehe Besprechung auf fixpoetry).
Beide Taschenbücher sind erschienen in der Redelsteiner Dahimène Edition (RDE), einem ein paar Jahre alten Kleinstverlag aus Wien (siehe Hotlistbeitrag), hinter dem zwei findige Herren aus der Musikbranche mit eigenen Labels stehen: Stefan Redelsteiner und Ilias Dahimène./sw

 

Am Ball

Am Ball – Wider erbliche Schwachsinnigkeit liegt elegant wie eine Einladungskarte in der Hand. Auf kaum achtzig Seiten besucht man an der Seite einer anonymen Sie einen in der Wiener Hofburg statthabenden Ball. Wie bei einem Expeditionsbericht ist nach dem Inhaltsverzeichnis ein Grundriss der Räume abgebildet. Feststiege, Seitengalerie, Festsaal, Wintergarten, Toilettenanlage, Zeremoniensaal und Rauch-Keller bezeichnen auch die Kapitel.

Die Protagonistin ist allein unterwegs und trifft auch im Verlauf der Handlung keine nahestehende, befreundete Person. Allerdings wird jeder Raum von einem anderen, namentlich erwähnten und in einem Verzeichnis nach den Verfasserinnen aufgeführten Gast kurz beschrieben. Und in jedem Raum, bis auf die Toilettenanlage, findet unvorhergesehen ein Massensterben statt, von dem die Protagonistin unberührt bleibt – nach dem Besuch im Wintergarten hat sie allerdings nasse Schuhe, die so faulig stinken, dass bei der Säuberung Brechreiz aufkommt. Die Todesarten unterscheiden sich: auf der Feststiege öffnen sich Löcher an Gästen, aus denen Blut strömt, in der Seitengalerie werden Gesichter hochrot, bis die Schädel explodieren, im Festsaal löst sich die Haut der Besucher, „getränkt wie in Säure“, im Zeremoniensaal kommt es zu Erstickungsanfällen und Tollwut aller gegen alle und im Rauch-Keller entzünden sich die Körper durch innere Hitze. Dass in der Toilettenanlage lediglich gewimmert wird und Blut aus den Kabinen rinnt, könnte als entspannend eingeräumte Pause aufgefasst werden. Der sechsmal wiederkehrende Refrain sagt, „wie das auseinanderstirbt“. Die Sprache müht sich um Tümelei, es herrscht mal „rassiges Gedränge“, mal wird von „Lädierung dieser Leibung“ gesprochen, „dünkt ihr das echt?“ wird gefragt, „Ungemach“ findet statt.

Satire lebt von Übertreibung – und spritzige Exitus-Fantasien in einem hoch rituellen Rahmen auszutoben, könnte für einen interessanten Kontrast sorgen. Aber die Protagonistin bleibt unbeteiligt und verhält sich unbeteiligt. Die Böswilligkeit des Textes gegenüber all den vor Leserin und Protagonistin sterbenden Ballbesuchern verharrt im Konzept.

Gesche Heumann

  • Lydia Haider/Esther Straganz: Am Ball – Wider erbliche Schwachsinnigkeit. Wien: RDE 2018. Taschenbuch. 70 Seiten.

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