Im Porträt: edition bücherlese

Inzwischen wissen wir von den höchsten Alpengipfeln in der Schweiz, erfreuen uns aber auch an einer dort ungebrochen wachsenden und lebendigen Verlagslandschaft, geprägt von größeren, aber auch vielen kleinen Verlagen. Auch für einen Quereinstieg ins Büchermachen scheint es nie zu spät zu sein.
Bereits 2012 hat die Berufsschullehrerin Judith Kaufmann ausgehend von einer „jahrzehntelangen Passion für die Literatur“ ihren Verlag edition bücherlese in Luzern gegründet, also in der geografischen Schweizer Mitte. Von diesem Punkt aus schärft sie ihr literarisches Programm mit „lokalen Wurzeln und überregionaler Ausstrahlung“. Es umfasst (Debüt-)Romane und einmal jährlich Lyrik hauptsächlich eben von zeitgenössischen Zentralschweizer Autorinnen und Autoren. Im Wort „Lese“ steckt ja allein schon „handverlesen“ und „erlesen“. Ein erzählenswerter Text ist im besten Fall „größer als die Summe seiner Buchstaben“, sagt die Verlegerin. Da ihr die „Mehrsprachigkeit der Schweiz am Herzen liegt, werden künftig auch Werke aus den anderen Sprachregionen der Schweiz einen Platz im Verlagsprogramm finden“. Dass sie das verlegerische Schaffen zwischen Leidenschaft und Wirtschaftlichkeit immer wieder um den Schlaf bringe, will Judith Kaufmann dabei gar nicht verschweigen.
Die edition bücherlese bildet ein ambitioniertes Gegengewicht zur Konzentration an attraktiven Verlagen vor allem in Zürich oder Basel. Sie ist Mitglied der Swiss Independent Publishers (SWIPS) und vertreibt ebenfalls die Bücher aus dem Verlag Martin Wallimann. Aus dem Frühjahrsprogramm empfehlen wir Balg, den viel versprechenden Debütroman von Tabea Steiner.
Für uns in die Schweizer Bergwelt gestürzt hat sich Marina Büttner und stellt uns den Debütroman Widerschein (2018) von Anita Hansemann vor./sw

Anita Hansemann: Widerschein

Mia und Viid verbindet eine Kinderfreundschaft. Viid, der Jenische, wird in der Schule ausgeschlossen. Nur Mia hält zu ihm. Die strenge Mutter jedoch versucht die beiden immer wieder zu trennen. Als Mädchen wird sie in den Sommerferien zum Arbeiten auf die Almen geschickt, denn wer hart arbeitet, hat keine Zeit für Unsinn. Von Viids Mutter Franziska erfährt Mia etwas über die Jenischen, die wie Sinti und Roma oft als Reisende leben, eine eigene Sprache haben und auch, dass es überall Menschen gibt, die sie wie Aussätzige behandeln, wie Verbrecher.
Aus der Kinderfreundschaft wird über die Jahre mehr, doch richtig zusammen kommen die beiden nie. Als Viid im Winter während eines Lawinenabgangs verschüttet und in letzter Minute von Mia gerettet wird, scheint sie das zunächst erst recht zu verbinden. Aber dann taucht Viid nach einem Absturz am Berg unter. Man munkelt, die geheimnisvolle weiße Gämse sei schuld daran.

Viele Jahre später: Immer wieder kommen Szenen mit Viid auf der Jagd nach der geheimnisvollen weißen Gämse, gibt es Begegnungen mit dem „Äbifräuli“, einer Geistererscheinung. Immer wieder ist Viid erschöpft und schläft mitten im Berg ein und träumt seltsame Dinge. Mia dagegen kümmert sich, ganz gegenwärtig und darunter leidend, um die sieche Mutter und den zurückgebliebenen Bruder und geht nicht fort, obwohl sie alles schon lange satt hat. Sie lässt sich auch nicht auf Claas ein, obwohl sie weiß, dass es gut für sie wäre. Also irgendwie ein wenig viel bergauf und bergab.
Auch in den Zeiten springt die Autorin hin und her. Was mich dranbleiben ließ, waren hauptsächlich das Bergpanorama, die fremde Lebenswelt, die eindrücklichen Naturbeschreibungen, die Naturgewalten in den Schweizer Bergen. Die Handlung ist verortet im Walsertal St. Antönien im Kanton Graubünden. Widerschein war für mich vor allem unter diesen Aspekten eine interessante Lektüre, doch weder sprachlich noch inhaltlich tut er sich hervor. Dass der Schluss des Romans überraschend stimmig und besonders gestaltet wurde, hat ihn dann doch noch zu einer bemerkenswerten Lektüre gemacht.

Marina Büttner
(gekürzt und adaptiert; Originalbeitrag auf literaturleuchtet)

  • Anita Hansemann: Widerschein. Luzern: edition bücherlese 2018. 272 Seiten. Auch als E-Book erhältlich.

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