Französische Literatur im austernbank verlag

Austern sind nicht jedermanns Sache: zu salzig, zu lebendig, zu kompliziert, zu milchig, zu teuer, zu obszön. Für andere sind sie ein „Symbol für Literatur“. Warum das so ist, davon erzählt Bettina Deininger, die Gründerin und Verlegerin des austernbank verlags aus München – einem Verlag, in dem seit 2011 wenige, aber außergewöhnliche Bücher herangereift sind. Von Deininger selbst in Frankreich abseits von großen Namen wie Ernaux, Houellebecq, Despentes, Vuillard aufgespürt und ins Deutsche übersetzt.

 

Gespräch mit Verlegerin Bettina Deininger

Sie haben 2011 Ihren Verlag gegründet, in dem nur literarische Übersetzungen aus dem Französischen erscheinen. Welche Leidenschaften haben Sie zu diesem Schritt geführt? Was waren Ihre größte Hoffnung, Ihre größte Angst?

Ich hatte beobachtet, dass vor allem die „Blockbuster“ bei uns ankommen. Dabei gibt es noch so viele AutorInnen und Verlage jenseits von Paris, aber auch thematisch jenseits der Klischees von „amour“ und „Tour Eiffel“. Auf einer Reise durch Südfrankreich habe ich in einem kleinen Ort zusätzlich zur Buchhandlung auch noch zwei Verlagsbuchhandlungen entdeckt. Dieser Mut hat mir imponiert und mich angesteckt!
Als sich meine Pläne konkretisiert haben, bin ich immer wieder dem Vorurteil begegnet, französische Literatur sei „Kopfschmerz-Literatur“, d. h. theorielastig, kompliziert zu lesen. Auch dieses Klischee wollte ich mit unterhaltsamen und gleichzeitig anspruchsvollen Romanen widerlegen.
Natürlich war ich vorab auch in Kontakt mit BuchhändlerInnen. Die erschrockene Reaktion „Oje, ein neuer Autor!“ hat mich zunächst verblüfft. Jetzt sind es gerade die BuchhändlerInnen und deren Leseempfehlungen – passgenau für einzelne KundInnen –, die unsere Romane erfolgreich machen.

Hat Sie Ihr „strenges“ Profil bisher nicht eingeengt?

Im Gegenteil! Französisch wird auf allen fünf Kontinenten gesprochen und geschrieben. Die historisch bedingte Vielfalt bringt einen Reichtum an aktuellen Themen, Stoffen und Erzähltraditionen mit sich. Ein gutes Beispiel ist unser Autor Yamen Manai. Aufgewachsen in Tunesien kennt er neben der französischen vorzüglich die arabische Literatur, er lebt und arbeitet in Paris, reist bevorzugt in Südamerika. All diese Einflüsse machen sich in seinem Erzählstil bemerkbar.

Was steckt hinter dem hübschen Verlagsnamen? Wer gehört zum Team?

Die Auster, finde ich, ist ein sehr gutes Symbol für Literatur: Der Geschmack für sie entwickelt sich mit der Zeit und einer gewissen Erfahrung. Ob das Erlebnis ein Genuss wird, ist offen, völlig überraschend und subjektiv.
Dass ich die Verlagsidee in die Tat umgesetzt habe, war nur möglich, weil ich gute Kontakte in die Branche hatte, und wusste, wen ich anfragen wollte. Zwar laufen alle Fäden bei mir zusammen, aber die Ressorts Grafik, Lektorat, Presse und Vertrieb verteilen sich auf verschiedenen Schultern.

Sie sind Verlegerin und Übersetzerin in Personalunion? Wer schaut wem mehr auf die Finger? Und wann bedarf eines Außenblicks?

Auch wenn es mir gefällt, ohne Umwege zu entscheiden, geht ein Roman, und somit auch die Übersetzung, bis zum fertigen Buch durch viele Hände. Zehn Augen sehen mehr als zwei! Abgesehen von den Terminen, die einem ständig im Nacken sitzen, macht es sehr viel Vergnügen, gemeinsam an Ausdrücken zu tüfteln und an Formulierungen zu feilen.

Welche Kriterien machen für Sie gute literarische Texte aus?

Von markanten, eigenständigen Stimmen geht für mich eine starke Anziehungskraft aus. Besonders dann, wenn es dem Autor gelingt, einen schweren Stoff auf leichte, sogar humorvolle Art zu verarbeiten. Das sind rare Glückmomente!

Wie durchforsten Sie den französischen Buchmarkt? Gibt es dort auch eine unabhängige Verlagsszene vergleichbar mit dem deutschsprachigen Raum?

Dank Internet sind Literaturzeitschriften, Verlagsprogramme und Leserblogs einfach erreichbar. Der Salon du Livre in Paris ist immer eine Reise wert, ebenso wie das Stöbern in Buchhandlungen. Und natürlich spielen auch LiteraturagentInnen eine wichtige Rolle. Sehr gerne würde ich einmal auf die Buchmesse nach Brüssel, die ein Treffpunkt der unabhängigen Verlagsszene sein soll.

Und wie behaupten Sie sich gegenüber größeren Verlagen, die französische Literatur herausbringen?

Meine Chance liegt darin, schneller zu sein, früher auf eine/n AutorIn aufmerksam zu werden. Manche hervorragenden Romane werden von großen Häusern ausgelassen, weil sie „zu schmal“ im Umfang sind, d. h. „nur 150 Seiten“ haben. Kurze Romane haben für mich den Vorteil, dass sie bei BuchhändlerInnen mit deren enormen Lesepensum eher eine Chance haben, wahrgenommen und weiterempfohlen zu werden.

Wie kommt es zu dem lockeren Veröffentlichungsrhythmus?

Ja, die Idee von slow literature gefällt mir … Zum einen bin ich sehr wählerisch, zum anderen entscheidet das vorhandene Zeit- und Geldbudget.

Bereitet Ihnen verlagswirtschaftliches Denken schlaflose Nächte?

Tatsächlich ist die Arbeit mit Zahlen im Verlag mindestens ebenso kreativ wie mit Buchstaben. Jeder neue Titel bleibt eine Überraschung. Gutes Timing in thematischer Hinsicht kann man anpeilen, aber nicht erzwingen. Die kurze Aufmerksamkeitsspanne für Novitäten in Medien und Handel wird aus meiner Sicht für Indiebooks häufiger ausgedehnt, wofür ich sehr dankbar bin.

Welche Vision haben Sie für Ihren Verlag in Zeiten von Leserschwund, Digitalisierung und der Insolvenz von KNV?

„Leser verspeisende Literatur“ – das ist das Motto, mit dem der austernbank verlag angetreten ist. Also Texte, die ihre LeserInnen mit ihrer Wirkung und Schönheit durchdringen. Auch wenn neue Medien attraktiv sind, ist keine Beziehung so intensiv und eindrücklich wie zum Buch. Diesen Anspruch gilt es einzulösen! Durch die KNV-Insolvenz wird die Branche von innen erschüttert und beschädigt, das ist bitter.

Wie wird der Verlag von Publikum und Presse wahrgenommen? Was hat es mit dem Pop-up-Store im Münchner Rathaus auf sich?

Als unabhängiger Verlag bekommt man durchaus einen Sympathiebonus. Natürlich entscheidet, ob das Buch überzeugt. Bis man sich einen Namen gemacht hat, sind BuchhändlerInnen verständlicherweise zurückhaltender. Darum setzen jetzt immer mehr Verlage auf Pop-up-Stores, um ihr ganzes Programm sichtbar zu machen.
Die KundInnen reagieren sehr positiv auf den „Münchner Buchmacher“-Laden im Rathaus, der uns vom Kompetenzteam Kultur- und Kreativwirtschaft der Stadt zur Verfügung gestellt wurde. Wir erklären häufig unser Konzept, verweisen aber auch auf die umliegenden Buchhandlungen. Die Süddeutsche Zeitung hat einige Male über unsere Gruppe berichtet. Sehr gute Erfahrungen habe ich mit BuchbloggernInnen gemacht – LeserInnen schätzen persönliche Empfehlungen sehr.

Was gab es für Reaktionen auf die Nominierung für die Hotlist 2018 und 2015?

Diese Auszeichnung ist ein wichtiges Argument im Buchhandel geworden! Eric Fayes Roman Zimmer frei in Nagasaki erfreut sich anhaltender Beliebtheit, und ich hoffe sehr, dass es Mund ohne Mensch von Gilles Marchand ebenso ergehen wird.

Was lesen Sie zurzeit?

Dank des Pop-up-Stores habe ich neuen Lesestoff ständig greifbar – ein paradiesischer Zustand! Zuletzt habe ich Bucheckern, Bernstein, Brausepulver – die Danziger Kindheit von Günter Grass gelesen, ein Jugendbuch aus dem Susanna Rieder Verlag. Sehr aufschlussreich, auch für erwachsene Leser!

Danke an Bettina Deininger für das Gespräch und weiterhin viel Erfolg!

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Senta Wagner

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