Josefine Klougart: Einer von uns schläft (Matthes & Seitz Berlin)

Immer wieder fällt der Blick einer jungen Frau aus dem Fenster eines Hauses in eine verschneite Landschaft. Sie scheint darin zu lesen. Das Haus ist ihr Elternhaus in dem Dorf, in dem sie aufgewachsen ist und wo „morgens die Häuser weinen“, weit abgelegen von Kopenhagen, ihrem derzeitigen Wohnort. „Ich wohne jetzt hier bei meinen Eltern, sage ich laut zu mir selbst.“ Die Mutter unterstreicht die Aussage ihrer Tochter, „es sei nur für eine Weile“. Diese Weile dehnt sich nun im Verlauf des Romans aus in Raum und Zeit. Mit „Landschaft“ sind auch gleich mehrere Kapitel betitelt. In dieser ist auf jeden Fall eine Kindheit verschwunden, unter dem Schnee, „der sich legt, auf alle Lebenden und Toten“. Vom Schnee weiß Josefine Klougart in Einer von uns schläft auf graziöse und geheimnisvolle Weise zu erzählen.

Formal ist der Roman tatsächlich anspruchsvoll. Im bedachtsamen Lesen entfaltet er seine einnehmend spröde und beklemmende Schönheit. Klougarts Erzählerin macht sich mit bedeutungsaufgeladenem, ja fast lyrischem Gestus an die Rekonstruktion von Geschehenem. Als Trauernde und Verlassene kam sie im Elternhaus an, zwei gescheiterte Liebesbeziehungen liegen hinter ihr. Die Mutter ist erkrankt und verschwindet sozusagen ebenfalls. Wer so wund und zweifelnd ist wie die Frau kann das Ganze kaum chronologisch angehen, vielmehr reiht sie kürzere und längere Passagen aneinander und setzt oft harte Brüche zwischen ihnen. Weiters zeigt sich ihre Zersplitterung in den unvermittelten Sprüngen von der Ich- zur Sie- oder Wir-Form. „Wir gehen nach Hause, die beiden gehen nach Hause, ein Mann und eine Frau, ohne ein Wort.“ Nichts wird hier auserzählt, vieles angedeutet und in der Schwebe gehalten. Satz für Satz wird oft umbrochen oder auch mal einer durchgestrichen, ein jeder neue Absatz ist wie ein neuer Anlauf, zu verstehen, vor allem sich selbst. Dazu braucht es so dringend die Sprache. Da wird um jeden Satz, um jedes Bild gerungen, Einzelwörter herausgestellt, Doppelpunkte verteilt, Motive wiederholt. Gegenwärtiges und Vergangenes fließen ineinander, auch die Reden der Figuren gehen im Text ununterscheidbar ineinander auf. Klougarts poetischer Roman erzählt mit sprachlicher Präzision von Trauer und Verlust, vom Vergehen und Aushalten, von Sommer wie Winter und Apfelbäumen: Immer schläft einer und einer nicht, so wie einer liebt und einer nicht.

Senta Wagner

 

  • Josefine Klougart: Einer von uns schläft. Aus dem Dänischen von Peter Urban-Halle. Berlin: Matthes & Seitz Verlag 2019. 224 Seiten, gebunden. 15,99 Euro. Auch als E-Book

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