Neunzehn Jahre Lyrik in der parasitenpresse

Verwundert reibt man sich die Augen. Eben hielt man doch noch ein liebevoll selbst gefertigtes Recyclingbüchlein in Händen, heute steht die parasitenpresse aus Köln bereits kurz vor ihrem zwanzigsten Verlagsjubiläum. Und veröffentlicht noch immer und ungebrochen: neue deutschsprachige und internationale Lyrik. „Aus Lyrikheften sind Bücher geworden.“

 

Gespräch mit Verleger Adrian Kasnitz

Lieber Adrian, was ist das Parasitäre an eurem Verlag?

Zum Glück bietet der Name mehrere Angebote an, was das Parasitäre sein könnte. Parasiten können ja gut andocken – das machen wir ziemlich oft, schmieden Bündnisse, machen Kooperationen, wollen ein Teil im Netzwerk sein. Und die Lage der Dichter*innen hat sich ja nicht wirklich verbessert, seitdem wir angefangen haben. Künstler*innen leben heute genauso prekär.

Euer Verlag ist neunzehn, bald zwanzig Jahre alt. Gibt es Gründe zu feiern?

Natürlich gibt es die. Wir haben ja als ganz kleines Projekt angefangen. Haben einer kleinen Szene eine Plattform geboten. Und dann ging es immer weiter. Dass es so lange läuft und sich immer wieder wandelt und weiterentwickelt, das ist das Besondere. Aus Lyrikheften sind Bücher geworden. Zu den deutschsprachigen gesellen sich immer mehr internationale Autor*innen. Wir waren im letzten Jahr an über 100 Veranstaltungen, Lesungen, Autorengesprächen, Buchmessen beteiligt und haben 30 davon selbst organisiert. Im nächsten Jahr wollen wir groß feiern. Aber dann beginnen wir rückwärts zu zählen. Es sind nur noch 19 Jahre bis zur Rente.

Du veröffentlichst deine eigenen Gedichte im Verlag. Hat der Dichter ein Dach über dem Kopf gebraucht?

Das Konzept der parasitenpresse war von Anfang an von Musiklabels abgeguckt. Künstler*innen, Label-Macher, das ganze Umfeld sind Teil des Ganzen. Die Lyrikhefte waren immer als Sprungbrett gedacht und nicht als Dach oder Zuhause. Weil wir erst ja nur Hefte gemacht haben, war die Absicht, dass die Autor*innen erst ein wenig sichtbar werden und dann den Weg zu anderen Verlagen finden. Das ist ja vielen Autor*innen der Anfangszeit gelungen. Ich habe ja auch die allermeisten Bücher in anderen Verlagen gemacht und bei uns erscheint nur das Langzeitprojekt Kalendarium oder Übersetzungen von mir. Im Jahr 2000 gab es die vielen tollen kleinen unabhängigen Verlage noch nicht. Das mussten wir und alle anderen erst erfinden.

Waren damals in euren Anfängen die kleinen Heftchen aus Briefumschlägen Handarbeit aus Verzweiflung?

Es war aus der Not geboren, aber auch aus der Zeit, einem Upcycling-Gedanken, sich nicht zu wichtig zu nehmen, sondern sich eher im Understatement zu üben. Es war letztendlich der Beweis, dass man mit null Budget ein Unternehmen starten kann. Und selbst die Heftchen haben einige Autor*innen zu Stipendiat*innen und Preisträger*innen gemacht. Dass wir uns trotzdem von der Handarbeit verabschieden hat damit zu tun, dass die Auflagen größer werden und wir mehr Titel machen als früher.

Was würdest du aus heutiger Sicht anders machen? Und was bedeutet unabhängiges Verlegen für dich?

Unabhängig bedeutet in erster Linie, Bestimmer zu sein. Das schließt alle Lebensumstände mit ein. Ich habe den Verlag begonnen und gleichzeitig zwei Kinder großgezogen. Da stand der Verlag lange nicht im Vordergrund. Ich habe mich gegen eine Uni-Karriere entschieden und für die Literaturwelt. Unabhängig bedeutet für mich, ich kann den Verlag auch wieder kleiner machen, wenn mir etwas wichtiger wird. Wir können unabhängig von Moden und Zyklen agieren, wir brauchen kein Herbst- und Frühjahrsprogramm, sondern können die Bücher machen, die uns gefallen, und auch den Zeitpunkt bestimmen. Rückblickend gibt es natürlich ein paar Dinge, die man vielleicht hätte anders machen können. Andererseits bin ich immer wieder erstaunt, wie vieles besser gelaufen ist als gedacht.

Lyrik ist sichtbarer geworden: Es wird viel produziert und veröffentlicht, besonders von einer jungen Lyrikgeneration, aber wird sie auch gelesen? 

Ob mehr oder überhaupt gelesen wird, kann ich nicht sagen. Lesen ist ja immer etwas sehr Intimes. Passiert an heimlichen Orten, im Bett oder auf dem Klo. Das Produzieren ist günstiger geworden, deshalb gibt es mehr, würde ich sagen. Die Schreibinstitute bringen immer wieder neue junge Autor*innen auf den Markt. Das ganze Umfeld ist sichtbarer geworden, die vielen Literaturzeitschriften, die Leseorte, die Verlage. Aber alles findet seit je im dreistelligen Bereich statt. Glücksfälle ausgenommen. Das wird sich auch in Zukunft kaum ändern, selbst wenn man mehr in Werbung oder Vertrieb investieren sollte. Lyrik braucht nichts Aufgebauschtes. Ganz im Gegenteil braucht Lyrik immer eher eine persönliche Begegnung mit dem Text oder der Autorin, dem Autor.

Wie finden Texte den Weg in euren Verlag? Seid ihr streng, was die ästhetische und formale Qualität betrifft? Was spielt für euch noch eine Rolle?

Wir können nur Bücher und Autor*innen machen, die perfekt zu uns passen. Textlich und menschlich. Wir wollen natürlich auch weiterhin Texte entdecken, uns selbst überraschen lassen. Mit der Zeit haben sich allerdings auch bestimmte Kontakte gefestigt. Es gibt jetzt Autor*innen, die zwar nicht ausschließlich bei uns, aber immer wieder mit uns veröffentlichen. Da wird der Platz für ganz neue Stimmen immer knapper. Das war früher anders, als es eigentlich die Regel war, dass wir immer nur für ein Projekt mit den Schreibenden zusammenarbeiten. Grundsätzlich wollen wir aber keine ästhetische Schule bilden, wollen vieles zeigen. Lyrik als urbane Praxis ist vielleicht der kleinste gemeinsame Nenner.

Was reizt euch an den internationalen Stimmen? Wie werdet ihr auf sie aufmerksam?

Häufig machen uns Dichter*innen oder Übersetzer*innen auf interessante Kolleg*innen aufmerksam. In jedem Land gibt es eine tolle Szene, die man hierzulande nicht kennt. Das kann alles noch entdeckt werden! Lyrik ist zwar schwieriger zu übersetzen als Prosa, aber eigentlich viel internationaler, weil sie auch auf Klang- oder Rhythmusebene funktionieren kann.

 

Mit dem Band Schwarz auf weiß der gebürtigen Mazedonierin Lidija Dimkovska zum Beispiel habt ihr einen bewundernswert starken, sehr persönlichen und politisch geschärften Gedichtband im Programm. Was hat euch an ihm interessiert?

Auf Lidija hat uns die Kollegin Nikola Richter aufmerksam gemacht. Das gibt’s auch: dass sich Kollegen etwas empfehlen! Wir haben 2017 eine Anthologie mit junger griechischer Lyrik herausgegeben. Bei Besuchen in Griechenland haben wir immer wieder Demonstrationen um den Namensstreit mit Mazedonien erlebt. Das hat uns nur noch neugieriger gemacht, etwas über dieses kleine Nachbarland zu erfahren, vor dem man in Griechenland angeblich so viel Angst hat. Aber das sind nur zusätzliche Gründe. Für Lidija spricht natürlich die Qualität der Texte, der recht nüchterne Ton, in dem sie von Krieg und menschlichen Schicksalen erzählt. Außerdem haben wir mit dem Wiener Übersetzer Alexander Sitzmann einen Garanten dafür gewinnen können, dass es auch gute Gedichte in der Zielsprache sind.

Welche Vision habt ihr für euren Verlag in Zeiten von Leserschwund, Digitalisierung und anderen Katastrophen?

Das sind alles nicht unsere Probleme! Der Verlag wächst auch dank Digitalisierung. Gefahren lauern von weniger Sendeplätzen für Kultur in den Rundfunkanstalten. Von immer größerer Marktmacht einiger weniger Player, die nur mit anderen großen Playern spielen und die Kleinen nur zuschauen lassen. Wir setzen uns für Bibliodiversität ein, also eine vielfältige Verlagslandschaft, denn das kommt vielen zugute, den Verlagen, den Autor*innen und den Leser*innen. Nicht zuletzt spiegelt das die Geschmacks- und Meinungsvielfalt wider, die wir für eine lebendige Demokratie benötigen.

Danke an Adrian Kasnitz für das Gespräch und weiterhin erfolgreiches Büchermachen!

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Senta Wagner

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