Cornelia Travnicek: Feenstaub (Picus Verlag)

Eine vom Nebel umhüllte Insel mitten in einem Fluss, glitzernder Feenstaub, der drei Jungspunden Flügel verleiht, und die Erfahrung von Ausweglosigkeit und Gewalt – das sind die Ingredienzen des dunklen und märchenhaften Romans Feenstaub der österreichischen Erfolgsautorin und Lyrikerin Cornelia Travnicek (geb. 1987), der jetzt im Wiener Picus Verlag erschienen und mit seinem goldglänzenden Titel schon für sich ein Schmuckstück ist.

Die Aufgabe ist klar, aber kriminell. Petru, Magare und Cheta sind drei junge abgerichtete Taschendiebe, die den Betuchten in der gesichtslosen Stadt in blitzschnellen Aktionen ihr Hab und Gut aus den Taschen oder von den Handgelenken streifen müssen. Als ballspielendes Zweiergrüppchen tauchen sie auf, einer lenkt ab, der andere klaut trickreich drauflos. Dann verschwinden sie mit ihrer Beute, harmlos mit Schultaschen getarnt. Haste nicht gesehen! Vom Nebel verschluckt. Auf der im Fluss der Stadt gelegenen Insel, wo sie gemeinsam im Schutz eines Baumes hausen, landen ihre Schätze in der Schatzkiste, bis der Krakadzil, ihr Boss mit dem Goldzahn, kommt und den Großteil einsackt. Böser Krakadzil, Rattenfänger, schickst die Kinder, für die sich niemand interessiert, auf die Straße. Das nennt man Ausbeutung. Kindheit ist was anderes.
Zimperlich ist das Erzählen hier nicht, es ist roh, dunkel, untergründig, bleibt aber auch im Vagen und Unausgesprochenen: weder von Kriminalität ist die Rede, Drogen oder der Herkunft der Jungen. „Danach wollten sie erfahren, wo zu Hause ist. Zu Hause, das ist, wo man dich haben will, gebe ich als Antwort.“ So gerade dem Kindesalter entwachsen dürften sie sein, an der Schwelle zur Adoleszenz, noch strafunmündig. Wer sollte sie da bestrafen für ihr Handeln? Nur eben älter dürfen sie nicht werden, größer, klein bleiben sollen sie, sich klein machen. Sonst funktioniert die ganze Sache nicht. Verloren sind sie, bis in ihren verpassten Zunamen Perdut (vom Französischen „perdre“, verlieren) hinein.

Und das mit dem Älterwerden, das sollte man besser auch gleich bleiben lassen. Die Tage nicht zählen, die Wochen, die Monate. Die Jahre nicht zählen, denn die Jahre zählen nicht. Klein bleiben, das ist wichtig, und sich klein machen, wenn das mit dem Bleiben schwierig wird.

An dieser Stelle haben wir längst Peter-Pan-Land betreten – das traumdurchsponnene, märchenhafte „Niemandsland“ in Feenstaub, Travniceks dritter und unwiderstehlicher Roman. Mit dem „glitzernden“ Gold aus kleinen Plastiksäckchen, das die Gang teuer erstehen muss, stärken sie sich für ihre Diebestouren, belohnen sie sich, davon sind sie abhängig. Vielleicht lassen sich damit auch die Schläge des Krakadzil besser ertragen und wird das Inselleben mit seinen Monstern, Drachen, dem süßen Nektar, Lagerfeuer, Musik, Nixen und Walen im Fluss zum Abenteuer. So jedenfalls schildert es Petru, der als eine Art Anführer der Inselbewohner angesehene Ich-Erzähler. Dabei ist Petru des Schreibens und Lesens gar nicht mächtig. Sein Erzählen zeigt sich als Kaleidoskop hart geschnittener Szenen, bestehend aus Erlebnissen, Wahrnehmungen, wilden Träumen und Fantasien. Ein unreifer Mensch ohne Ränder, ein Hergelaufener, der nicht gesehen wird von der Erwachsenenwelt, vermag kaum eine kohärente Geschichte zu erzählen. Die kurzen, nur wenige Zeilen langen Szenen, die kaum mal mehr als eine Seite füllen, wirken selbst wie Inseln auf dem Papier.

In einem Märchen gibt es Gut und Böse, scharfkantig getrennt. Das Böse ist identifiziert, wo ist das Gute im Roman? Das Anliegen der Autorin ist es wohl vielmehr, beide Sphären zu verschmelzen. Äußerst kunstvoll tut sie das. Im herrschenden Nebel, der Schattenwelt, die das Leben auf der Insel umfängt, schimmern immer wieder zarte Gefühle hindurch, Akte der Zuwendung. Als ferne Erinnerung klingen eine Großmutter oder eine Mutter an, die ihren Sohn vermisst. Ein Zufall will es, dass Petru bei einem Stadttrip der jungen Schülerin Marja in die Arme läuft und zugleich den sachten Beginn eines neuen Lebens in einer handymobilen Gegenwart erfährt, in der eine ihm bis dahin unbekannte Sprache der Fürsorge und der Bildung gesprochen wird. Allmählich verabschiedet er sich auch vom Feenstaub. Eine benebelnde Lektüre bis zum Schluss und eine Empfehlung als anspruchsvoller Roman übers schmerzhafte Erwachsenwerden auch für junge Menschen.

Senta Wagner
(verändert, Originalbeitrag auf dem Blog von Petra Lohrmann; sentafotos)

 

  • Cornelia Travnicek: Feenstaub. Wien: Picus Verlag 2020. 278 Seiten, gebunden. 22 Euro. Auch als E-Book.

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