Jürgen Bauer: Portrait (Septime Verlag)

Das Porträt in der Kunst hat eine lange Geschichte. Und immer noch, bis heute, dreht sich alles um Bildnisse oder Idealantlitze. In Jürgen Bauers umwerfendem Roman Portrait machen sich gleich drei Erzähler, gewissermaßen Porträtisten, ans Werk und geben ihr Bestes. Freilich sprachlich, nicht malerisch. Dass am Ende der Porträtierte dennoch auch im eigens angefertigten Ölgemälde nur besteht aus „ineinanderfließenden Farbflächen“ (das Umschlagbild „Portrait“ stammt vom Autor), ist nicht der literarischen Meisterklasse des Autors geschuldet, vielmehr zeigt sich hier die grundlegende Frage des Romans.
Was macht es mit einem, der „für längere Zeit sich selbst das eine und der Menge ein anderes Gesicht“ zeigt? Die Worte entstammen dem trefflichen Zitat von Nathaniel Hawthorne, das dem Buch vorangestellt ist. Unweigerlich führt es dazu, „am Ende in Verwirrung zu geraten, welches das echte ist“.

Gleichzeitig verweist das Verschränken von Malerei und Literatur auf die Doppelbedeutung des Begriffs Porträt als die höchst präzise künstlerische oder literarische Darstellung eines Menschen – am besten fängt man dabei auch noch sein Wesen ein. Nicht einfach also.

Jürgen Bauer (Foto Daniel Schönherr, 2020)

Der österreichische Autor Jürgen Bauer erweist sich in seinem vierten Roman, der wie seine Vorgängerbücher seit 2013 im „Haus der schönen Bücher“, dem Wiener Septime Verlag erschienen ist, einmal mehr als souveräner Erzähler und Opern-Connaisseur. Locker zieht er verschiedene Sprachregister, setzt auf unverbrauchte Themen, bezaubert mit dialektalem Singsang und lässt zwei Generationen sowie diverse Lebenswelten in einem verstockt-katholischen Klima der Nachkriegsjahrzehnte samt Stadt-Land-Gefälle ebenso lustvoll wie drastisch aufeinanderprallen. Politische Agitation zur Sichtbarmachung einer Schwulenszene blieb damals noch ohne Echo, Aids hatte noch keinen Namen, oder halt Schwulenpest, bis die ersten starben.

Im Mittelpunkt der drei Kapitel steht Georg (nicht der erste in Bauers Werk), selbst ernannter Schorsch, einst Bauernbub vom tiefsten Land, mit einer Sprache, die nach „ländlichem Etwas“ klang, später „feiner Pinkel“ in Wien mit Ministeriumsposten. Porträtiert wird er sowohl von seiner uralten Mutter, seinem todkranken Liebhaber und Lebensmenschen Gabriel und seiner machtvollen Alibi-Ehefrau Sara in je charakteristischen Sprechweisen, die mitunter hätten gebremst werden können. Gegen das dementielle Vergessen des Mannes mit den zwei Gesichtern wird anerzählt, ein Lügengebäude dekonstruiert.

(Sara) Ich verliebte mich in dich, weil ich das Gefühl hatte, mit dir eine andere Machtdynamik erleben zu können, weil du mich mehr brauchtest als ich dich, weil du jemand suchtest, der dir eine Fassade gab. Ich verliebte mich, weil ich bei dir die Oberhand behielt, weil es nichts gab, das du gegen mich verwenden konntest, weil die Fäden in meinen Händen zusammenliefen. So wurden wir ein Paar, weil ich es so wollte.

Dass Bauer die Figurenzeichnung nicht als ganzheitliche Biografie Georgs entwickelt, sondern multiperspektivisch anlegt, ist wohl durchdacht. Dieser kommt in Dialogen selten zu Wort, bleibt ein Schemen, subjektive Projektionsfläche seiner Erzähler, deren Erinnerungen an ihn sich verschränken wie widersprechen, doppeln oder verdreifachen. Meist greifen sie jedoch weitschweifend in eigene Untiefen und Vergangenheiten aus. En passant ist so das Vergehen von Zeit, dem „sonderbar Ding“, wahrnehmbar. Was die Darstellungen der drei nicht schaffen, daran scheitert eben auch das echte, in Öl gemalte Porträt von Georg.

Senta Wagner

 

  • Jürgen Bauer: Portrait. Wien: Septime Verlag 2020. 312 Seiten, gebunden. 22,90 Euro. E-Book 16,99 Euro.

 

 

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