Eva Maria Gintsberg: Die Reise (edition himmel)

Es tut gut, in den Himmel zu schauen. Dort erzählen Wolken, Gestirne und Farben ihre ganz eigenen Geschichten, fernab der unseren. Von dort kommen Schnee und Regen.

„ich sage der himmel ist vielleicht k/ein baumwollmousseline.“ Sagt Judith Nika Pfeifer in ihrem Gedicht himmel malen.

Von dort kommt auch, wie es scheint, ein Verlag, der sich derart inspiriert edition himmel nennt und in diesem unheilvollen Jahr in Innsbruck ins Leben gerufen wurde. Ein gutes Zeichen. Dort besteht auch eine Nähe zum Limbus Verlag, der den Vertrieb für die kleine Edition übernimmt. Mit den Worten der beiden Verlagsgründer Kurt Höretzeder und Thomas Schrott wird das „Programm langsam wachsen, sehr langsam“. Es entspringe ihren Leidenschaften für das gedruckte Buch, die sich nicht nur einem lebens­langen Lesen verdankten, sondern auch der mittler­weile Jahrzehnte dauernden Arbeit als Buch­gestalter. Und die kann sich sehen lassen! Mehr noch, sie ist rundum fühlbar.

Mit BÄNG #001 wartet der heranwachsende Buchhimmel mit seiner ersten Publikation auf, in exquisiter, vollendeter Ausstaffierung und Typografie. Hinter dem lautmalerisch polternden Bäng wird es ruhig. Mit dem Reihentitel steckt eine ebenso fein gearbeitete wie beunruhigend-dunkle Erzählung auf knappstem Raum. Die Reise ist das Debüt der Tirolerin Künstlerin Eva Maria Gintsberg, die Schauspielerin, Vorleserin und Schriftstellerin ist. BÄNG #002 gibt es laut Vorschau im Herbst 2021.

Aller Reise Anfang ist der Grund, weshalb sie überhaupt angetreten wird, egal wie abrupt. Eine Frau klammert sich frierend am frühen Morgen an ihren Koffer, besteigt mit „Ungewissheiten“ und „Unausgesprochenem“ ihren Zug. Sie begibt sich auf die Spur ihres Vaters, der tot ist. Im letzten Krieg war er, danach herrschte darüber Schweigen in der kleinen Mutter-Vater-Kind-Familie. Lapidar heißt es im Text: „Er in seiner Welt.“ Das Schweigen dieser Generation ist bekannt und das Schweigenbrechen oft genug Schreibimpuls nachwachsender Generationen. Dass es in Kriegszeiten eine andere Frau, eine Geliebte gegeben haben soll, wie ein verräterischer Brief und ein Foto dokumentieren, wirft das Erzählerinnen-Ich aus der Starre der erlebten Sprachlosigkeit. Gerne hätte sie mehr vom Vater gewusst, den sie mit „du“ anspricht. Vielleicht weiß sein alter Kriegskamerad mehr, zu dem sie unterwegs ist.

Konkrete Orte, also ein Woher und Wohin, spielen keine Rolle, das Unterwegssein hat seine eigenen Raum-Zeit-Koordinaten. Gintsberg geht es in ihrem Text, unterschiedlich typografisch markiert, um Wahrnehmungspartikel („Ich sehe etwas, das du nicht siehst und das ist.“), Erinnertes, Reflexionen, traumartige Sequenzen: der Blick auf dem Zugfenster, der Verzehr von Schokolade, vorgestellte Kriegsszenarien. Alles ist aufs Engste miteinander verwoben. Die Sprache ist bildhaft, resolut, plastisch, assoziativ, mit bemerkenswertem Gespür für Rhythmus. Nur ein paar Kommata mehr hätten sein dürfen.

Die Reisende ist nun nicht die Einzige, die mit ihren Geistern oder Schatten im Zug unterwegs ist. Wie entlang eines Schienennetzes entwirft Gintsberg die Lebensdramen als Kürzeststränge gleich mehrerer Figuren, denen die Erzählerin direkt oder indirekt begegnet: die des älteren Abteilgenossen, des kleinen rothaarigen Mädchens und ihrer Tante bzw. ihrer unglücklichen Mutter sowie der alten Frieda. Sie entspinnt in vier Episoden den einen Strang aus dem anderen, lässt diese überlappen, spiegelt sie gegeneinander, zeigt Ähnlichkeiten auf. Das ist äußerst reizvoll gemacht und hällt einen gebannt. Es mag so sein, dass alles miteinander verbunden ist, auf gerade einmal siebzig Seiten vedichtet kommt es einem auch verwegen vor.

Senta Wagner (Fotos ©Thomas Schrott)

  • Eva Maria Gintsberg: Die Reise. Innsbruck: edition himmel beim Limbus 2020. 76 Seiten, Hardcover mit Farbschnitt. 16 Euro.

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