Georges Perec: Das Attentat von Sarajevo (DIAPHANES)

C’était un mec, il s’appelait Karamanlis, ou quelque chose comme ça : Karawo ? Karawasch ? Karacouvé ? Enfin bref, Karatruc.

(Da war ein Kerl, Karamanlis hieß er oder so was in der Art: Karawutz? Karakuh? Karabrut? Kurzum, Karadings.)

Später wird aus dem verflixten Typ aus dem Buch Was für ein kleines Moped mit verchromter Lenkstange steht dort im Hof? noch ein „Karathustra“, ein „Karamagnole“ oder ein „Karaplasma“ usw. usf. Im Original lautet der Titel Quel petit vélo à guidon chromé au fond de la cour? DIe beiden Zitate machen Laune und das zweite steht für übersetzerische Höchstleistung, wenn es darum geht, den französischen Ausnahmeschriftsteller Georges Perec (1938–1982) ins Deutsche zu übertragen mit allem Hintersinn und Sprachwitz. Eugen Helmlé (1927–2000) hat dies bei zahlreichen Werken Perecs meisterlich vollbracht.

Auch wer bisher angenommen hat, möglicherweise sämtliche Perecs im Bücherregal zu stehen oder gelesen zu haben, wird jetzt von einem wiederentdeckten Text des Autors überrascht. Denn Die Dinge (Les Choses 1965, deutsch 1966), diese soziologisch-manierierte Geschichte der Sechzigerjahre ist nicht sein Erstling.

Es gab noch einen Text davor, einen Perec-Ursprung quasi von 1957, auch dieser schmal wie fast alle anderen, der aber damals nicht veröffentlicht wurde, da von Verlagen rundweg abgelehnt. In dem Roman Das Attentat von Sarajevo verschneidet Perec zwei Geschichten miteinander, und zwar reichlich verwegen, offenherzig und mit ironischem Feuer. Bei der einen war er zugegen, sie ist also autobiografisch grundiert und vom Ausmaß einer veritablen Liebestragödie mit all ihren Ungewissheiten, Ungeschicktheiten und hässlichen Eifersüchteleien, die sich schließlich in Luft auflöst. Das blutjunge Erzähler-Perec-Ich verliebt sich in Paris in eine Kunststudentin, die dummerweise die Geliebte ihres Kunstprofessors ist, und folgt ihr in die Heimat nach Jugoslawien. „Ich wollte sie bereits kennenlernen. Ich wollte sie schon lieben.“ Er wird sich für wenige Wochen sowohl in Belgrad als auch in Sarajevo aufhalten und alles daransetzen, um Mila zu erobern.

Ich möchte gerne noch einmal diesen so außerordentlichen Augenblick durchleben, da ich Mila wiedersah und glaubte, mich nicht getäuscht zu haben und dass meine irrsinnigsten Träume Wirklichkeit würden. Es folgte so manche Enttäuschung, und so haben diese Minuten einen ganz eigenen, fast schon anachronistischen Charme bewahrt.

Haarscharf kommt es im Spiel von Erwartung und latenter Enttäuschung (abgesehen von einem Erfolgserlebnis) nicht zum persönlich über die Ehefrau des Kunstprofessors eingefädelten Attentat auf den Nebenbuhler. So arg ist der Verliebte dann doch nicht der Liebe hinterher. Überstürzt geht es für den Perec-Erzähler zurück nach Paris.

In die andere, zwischengeschobene Geschichte, das echte Attentat von 1914 auf den Thronfolger Österreich-Ungarns, steigert sich Perec ähnlich rein und hält zunächst eine flammende Rede zugunsten der Attentäter und ihrer Motive. Im Verlauf des Buches rekonstruiert er basierend auf Zitaten aus Anklageschriften und Plädoyers quasi das Ereignis, das „Europa in Brand“ setzte, seines blieb hingegen eine „Chimäre“.

Der Roman ist ein wertvolles Fundstück. Das Originaltyposkript und ein Durchschlag waren lange verschollen, wie das Nachwort und die editorische Notiz sorgfältig aufklären. 2016, knapp sechzig Jahre nach der Niederschrift, erscheint das Buch in Frankreich, im Frühjahr 2020 in deutscher Übersetzung durch Jürgen Ritte beim Zürcher Verlag DIAPHANES, der das Werk Perecs lieferbar hält. Nicht nur: Hier finden sich seit zwanzig Jahren Werke zu Philosophie, Kunst, Wissenschaft und seit 2008 auch Literatur.

2020 gilt es auch das Jubiläum von Oulipo (der Werkstatt für Buchstabenverliebte mit Hang zu formalem Zwang, Ouvroir de Littérature Potentielle) zu feiern, die Ende 1960 federführend von Raymond Queneau gegründet wurde, deren Mitglied Perec 1967 wurde. Wer kennt ihn zum Beispiel nicht, den berühmten lipogrammtischen Roman La disparition (1969) ohne den Buchstaben „e“ (deutsch Anton Voyls Fortgang). Und ebenso lustig wie verschlungen geht es beim Puzzeln und der Lektüre von Perecs Meisterwerk Das Leben Gebrauchsanweisung (La Vie mode d’emploi, 1978) zu. Dieser ganze Zahlensalat hätte Perec sicher erfreut.

Senta Wagner (sentafotos Sarajevo)

  • Georges Perec: Das Attentat von Sarajevo. Aus dem Französischen von Jürgen Ritte. Zürich: DIAPHANES 2020. 142 Seiten, gebunden. 20 Euro

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