Juliane Baldy: Paul (Frankfurter Verlagsanstalt)

Meist trifft es einen unvorbereitet: das Sichverlieben. Genau so ergeht es Paul aus Berlin, dem siebzehnjährigen Helden in Juliane Baldys lässigem Debütroman Paul. Die Geschichte „funzt“ so richtig, um im Jugendsprech des Buches über die Lebensunruhe einer durchdigitalisierten Generation zu bleiben. Hier hängt das Leben an einem funktionierenden WLAN. Der Titel aus der famosen Frankfurter Verlagsanstalt ist zwar im vergangenen unglückseligen Bücherfrühjahr erschienen, aber unwiderstehlich für junge und jung gebliebene Erwachsene wie er ist, gehört er einfach immer noch gelesen, in jeder Saison und am besten jetzt im Winter. Ganz im Sinne des ZWEITEN FRÜHLINGS.

Anti Jugendsprech darf man also auf keinen Fall sein, hier herrscht ein anderer Ton. Und dass es ein anderes Leben als das „real Life“ gibt, wo es ums Zocken und Texten geht, muss auch klar sein. Dann ist man Baldys Ausnahmebuch schnell erlegen.

Ida ist die Neue in der Klasse, das „heißeste Mädchen der Stadt“. Sofort hat sie einen „Impact“ auf Paul inklusive erster Küsse. Es rast die „Pumpe“ und sind die „Pfoten“ schweißnass. Weil die Sommerferien starten und Ida in Urlaub fährt, finden ihre Dates ab sofort online und mit Kamera statt. Ida besetzt Pauls Herz und Hirn. Vom Verliebtsein zu sprechen, dafür ist er natürlich zu cool. Später erst wird er sich fragen, ob denn das „real Love“ mit ihnen ist. Für diesen Gefühlsstrudel, diese „Idaschleife“ braucht es trotzdem eine Sprache. Paul tut, was er kann, denn eigentlich fehlen ihm die Worte. Wie in einem Chat und in Echtzeit haut er ungefiltert raus, was er denkt, fühlt und erlebt. Rauschhaft ist das, ein schlagfertiges, rhythmisiertes Dauerlabern, dann wieder ein Ringen, Stammeln und Stöhnen: Wortfetzen, Satzabbrüche, Wort-Pingpong. An manchen Stellen ist er kaum zu mehr als einem „klaro“ oder einem bestärkenden „okie“ in der Lage, so sehr kommt er ins Schwimmen. Dennoch ist Paul ein reflektierter Typ und der Sprache gegenüber sensibel und aufmerksam, ein Sammler, so scheint es, er bleibt an Wörtern hängen, die ihm fremd sind, sich aber in seinen Wortschatz einschleichen mit „Auch so ein Wort“.

Ich geh so langsam wie möglich. Logisch. Es war schon nice. Nur jetzt. Jetzt wär ich gern allein. Liebe ist nur Mädchenkram, auch wenn mir schon klar, dass man auf manche richtig steht. Und bam. Die Pumpe. Die Pfoten. Ida. Wenn ich ehrlich bin, hab ich mir sogar währenddessen vorgestellt, wenn ich mit ihr. Jetzt.

Nebenbei lernt Paul, der bei seiner alleinerziehenden Mutter lebt, sein eigenes Ich kennen, trifft erstmals in Köln seinen Vater, der die Familie früh verließ, und seine vier Jahre ältere „Halbhammerschwester“ und macht sich Gedanken über ein Leben, das auch „nice“ sein könnte, als das Getexte mit Ida plötzlich abbricht.

Senta Wagner

  • Juliane Baldy: Paul. Frankfurt: Frankfurter Verlagsanstalt 2020. 180 Seiten, Hardcover. 20 Euro

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