Mit dem Verlag der Pioniere im Gespräch

Wahre Humanisten gesucht!

Michael Uszinski will vergessenes Kulturgut wieder ans Tageslicht bringen. Vor zehn Jahren gründete er in Berlin seinen Verlag der Pioniere. Und Pioniere sind sie auch, die Helden der von ihm neu und opulent herausgebrachten Bücher: Forscher und Entdecker, die in die unwirtlichsten Ecken der Welt aufbrachen, in die Anden, in den Sudan, zum Amazonas, und ihre Erlebnisse zu Papier brachten. Uszinski – quasi ein Ein-Mann-Unternehmen – bringt alle Texte im Original samt historischer Karten und Abbildungen sowie einem umfangreichen Anmerkungsapparat – das Ganze makellos produziert. „10 Jahre. 8 Bücher. 6.200 Seiten. 2 deutsche Erstausgaben. Danke an unsere großartigen Leserinnen und Leser!“, heißt es auf der Website des leidenschaftlichen Verlegers, der selbst gerne im Hintergrund bleibt.

Was brachte Sie auf die Idee, den Verlag der Pioniere zu gründen?

Ich habe lange für die tageszeitung („taz“) und als freier Buchhersteller gearbeitet und so auch einige Verlagsgründungen betreut. Als ich den Malaiischen Archipel von Alfred Russel Wallace (der jüngste Titel im Verlagsprogramm, red.) lesen wollte, ihn aber auch antiquarisch nicht mehr auftreiben konnte, lag die Gründung eines eigenen Verlags nahe. Eine weitere Motivation war schlicht die meiner Altersvorsorge: Wenn ich jetzt einige tolle Bücher drucken lasse und die dann über Jahrzehnte abverkaufe, sollte doch später jeden Monat eine kleine Summe für meinen Lebensunterhalt hereinkommen. Vielleicht ist das zu einfach gedacht, wir werden sehen.

Erzählen Sie ein wenig von sich und Ihrem Werdegang.

Ich habe als Grafiker und Setzer eigentlich immer für tolle Kundinnen und Kunden aus dem NGO- oder Kulturbetrieb gearbeitet, und es sind viele wunderbare Projekte dabei entstanden. Jetzt genieße ich mit dem Verlag aber auch die absolute Freiheit sehr, das zu machen, was ich selbst möchte. Ich wähle die Autorinnen (leider bisher nur eine) und Autoren sorgfältig aus, es sollen im besten Falle wahre Humanisten sein, sie sollten positiv denken und ihr Schicksal sollte einen Bezug zu unserer Gegenwart im 21. Jahrhundert haben.
Die Bücher selbst werden in kleinen Auflagen gedruckt und in bestmöglicher Qualität hergestellt. Das Meiste erledige ich tatsächlich selbst, von der Recherche bis zum Buchversand. Ich liebe den Kontakt zu den Lesern und Leserinnen! Vielleicht – oder besser: hoffentlich – kommt irgendwann der Zeitpunkt, an dem ich das nicht mehr alleine schaffe. Einige Arbeiten werden an befreundete Kolleginnen und Kollegen vergeben, Bildreproduktionen etwa oder die Korrektur, die kann man bei „eigenen“ Texten nicht selbst machen.

Wie kamen Sie auf den Namen Ihres Verlags?

Das kam alles wie von selbst – von der Idee der Verlagsgründung über das Reihenkonzept, die Vermarktung und Buchausstattung bis zum Verlagsnamen waren in zehn oder vierzehn Tagen alle Details klar. Die Idee war wirklich reif zur Verwirklichung.

Um Texte wie die aus Ihrem Verlag dem Vergessen zu entreißen, müssen sie erstmal aufgestöbert werden. Wie gehen Sie da vor?

Lesen, lesen, lesen. Meine Bibliothek mit alten Reisebüchern ist inzwischen recht groß, noch mehr findet man ja auch online. Die Idee zum Spruce (Abenteuer eines Botanikers am Amazonas, hier Besprechung Hotlistblog) stammt, glaube ich, aus der Autobiografie des Neurologen Oliver Sacks. Als der IS in Syrien und dem Irak wütete, war mir klar, dass ich ein Buch zum Mahdi-Aufstand im 19. Jahrhundert machen musste. Rudolf Slatin (ein weiterer Autor aus dem Verlagsprogramm, red.) war nun nicht gerade ein Humanist, aber die anderen Autoren haben mich noch viel weniger überzeugt.

Der Anmerkungsapparat erfordert Mühe, Zeit und Fachwissen. Warum tun Sie sich das an?

Aus Neugierde. Ich will die Zusammenhänge kennen. Ob das jetzt den Leserinnen und Lesern in seiner Fülle wirklich hilft, kann ich nicht sagen. Die einzige Beschwerde, die ich dazu bisher erhalten habe, betraf aber nur die Schriftgröße.

Was fasziniert Sie an den historischen Forscherberichten?

Helden in Film und Fernsehen fahren oft Oldtimer und wohnen in umgebauten alten Häusern oder sogar auf Schiffen, ist Ihnen das schon mal aufgefallen? Da muss irgendwas in uns sein, das am Vergangenen hängt. Ich finde die Parallelität zwischen den Zeitebenen absolut faszinierend – man braucht auch nicht alles neu zu erfinden, oft wurden Lösungen schon in der Vergangenheit entdeckt. Wenn der aufmerksame Hermann von Pückler-Muskau durch Frankreich reist (Vorletzter Weltgang) mit seinen Empfehlungsschreiben, Schiffsbuchungen und Museumsbesuchen, ist das nicht weit entfernt von den Errungenschaften des digitalen Zeitalters. Mit einem Unterschied: der Sinnlichkeit. Was er auf seiner Reise wirklich mit allen Sinnen aufnehmen konnte, verkommt bei uns heute zu einem Feuerwerk der Events.

Vom Verlag der Pioniere allein wird man nicht leben können, nehme ich an. Sie nutzen Ihre Expertise auch für andere Publikationen?

Ja, ich fertige weiterhin Bücher, Zeitungen und Zeitschriften für Auftraggeber.

Ein Blick in die Kristallkugel: Wie wird der Buchmarkt für solch entlegene Werke, wie Sie sie verlegen, in zehn Jahren aussehen?

Ich weiß es nicht. Weil ich meiner eigenen Theorie der Parallelen folge, hoffe ich, dass es – ähnlich wie bei den Fans der Vinylschallplatte – immer ein kleines, feines Publikum für aufwändig produzierte Bücher geben wird.

Was kommt als nächstes? Gibt es schon Pläne?

Natürlich, jede Menge. Die Große Reise des Fürsten Pückler um das Mittelmeer muss noch fertiggestellt werden, Gustav Nachtigals Afrikareise Sahara und Sudan liegt schon fast fertig vor, aber da ist der Druck bisher nicht zu finanzieren. Dringend muss auch wieder eine Autorin ins Programm! Für die Karibik habe ich auch eine Idee, muss mir aber noch das Original anschauen. Und Asien muss unbedingt auch bearbeitet werden. Arktis und Antarktis sind mir persönlich zu kalt, obwohl, da gibt es ein Buch über eine Seefahrt …

Danke an Michael Uszinski für das Gespräch und herzlichen Glückwunsch zum Verlagsjubliäum!

Verlag der Pioniere im Netz: Website

Alexander Musik

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