Die Edition CONVERSO im Gespräch

Im März erscheint der Roman Die lustlosen Touristen der baskischen Autorin Katixa Agirre und damit Buch Nr. 9 im 2019 gegründeten Schwarzwälder Verlag Edition CONVERSO. Mit drei Bänden aus der Reihe Alltagshelden wären wir bis heute bei beachtlichen zwölf Titeln. Verlegerin Monika Lustig zeichnet aus, dass sie sich fast im Alleingang mit Haut und Haar und allerlei Meeresgetier auf mediterrane Literaturen stürzt, die das „gesamte Mittelmeer und seine Küsten zum Thema“ haben. Senta Wagner hat sich mit ihr unterhalten.

Verlegerin Monika Lustig im Gespräch

Wie geht es Ihnen in diesen ausgebremsten pandemischen Zeiten?

Seit geraumer Zeit unfreiwillig alleinlebend habe ich mich lange vor Corona in eine Vollbremsung gebracht, d. h. meinen Wohn- und Arbeitssitz in die gesellschaftliche Isolation, in die kulturelle Ödnis verlegt. In schmerzlicher Überschätzung meiner bewährten körperlichen wie geistigen Beweglichkeit.

Als die Pandemie sich anschickte, die Wirklichkeit vollständig einzunehmen, der Reigen der Maßnahmen „dagegen“ einsetzte, durchlief ich sämtliche Stufen der Emotionsskala – von der vielbesungenen ekstatischen Verlangsamung (anfangs), über Ohnmacht – Verzweiflung – Selbstverdammnis. Jetzt, im zweiten Jahr der Pandemie, kann ich nur sagen: allen Göttern sei Dank, dass ich diese Arbeit habe, die mich in Verbindung mit der Welt stehen lässt.

Sie sind literarische Übersetzerin aus dem Italienischen und Kulturvermittlerin. Was hat Sie gedrängt, den Verlag Edition CONVERSO zu gründen? Wofür steht der Verlagsname?

Sicherlich haben die 21 Jahre Leben in Italien, auch auf den drei Inseln Elba, Sardinien, Sizilien, hautnah mit Kulturschaffenden aller Couleurs und Genres, einen großen Anteil an dieser Entscheidung, die seit Jahren in mir rumorte; romantisch, wie ich gestrickt bin, betrachte ich – und das tue ich NOCH IMMER – einen Verlag als ein Gesamtkunstwerk. Und eines zu schaffen, danach drängte es mich einfach. Denn als Übersetzerin, was je nach Buch eine sehr schöpferische Arbeit sein kann, bleibt frau letztlich doch nur eine Dienstleisterin. Und tut dietro le quinte dennoch immer viel mehr.  

Überdies: stieß ich mich schon lange an den tradierten, eingefahrenen, einseitigen Bildern, Sehweisen, Klischees gerade was Italien anging. Die gelebte Wirklichkeit war stets viel heterogener, komplexer, greller.

Signifikant der Dreizack in der Hand der mythischen Meeresgöttin Amphitrite, die ich zum Verlagslogo gewählt habe; wir kannten bisher ausschließlich Poseidon (bzw. Neptun) mit diesem Machtsymbol.

Programmatisch: die Kehrseite der Dinge aufdecken – di converso … wie es vom Logo aus weiterführt – wenn auch im ersten Jahr nur männliche Autoren erschienen, den Umständen und den Thematiken geschuldet – beispielsweise zum hervorragend recherchierten Buch von Enrico Deaglio Eine wahrhaft schreckliche Geschichte zwischen Sizilien und Amerika.

Im März 2019 ist Ihr erstes Buchprogramm erschienen. Was ist seitdem passiert? Was hat Sie umgetrieben oder beglückt?

Viel ist passiert! 29 Tage nach Erscheinen der ersten zwei Bücher starb mein Mann, ohne den ich dieses Unternehmen gar nicht hätte beginnen können. Trotz größter Widrigkeiten – mein Verlag wurde von Anfang mit offenen Armen, regem Interesse aufgenommen. Und das hat sich stetig gesteigert. Auch dank meiner großartigen Mitarbeiterin (extern, nicht Vollzeit, leider) Judith Krieg, Berlin, die für Presse, Veranstaltungen, aber auch Lektorat zuständig ist.

Beglückt hat mich auch wie aus meiner Veranstaltung „Die Religionen der Liebe“ im Gartensaal des Karlsruher Schlosses mit Stefan Weidner und anderen 1001 Buch. Die Literaturen des Orients entstanden und bereits im August (gedruckt im Sonderformat) im Buchhandel war; die erste Ausgabe ist fast ausverkauft, eine zweite als Paperback ist in der Mache.

Das allergrößte Glück bislang ist mein heiß umkämpfter Leonardo Sciascia mit Ein Sizilianer von festen Prinzipien (siehe Beitrag Hotlistblog). Eine Hommage zu Sciascias 100. Geburtstag.

Beschreiben Sie das Programm Ihres Verlags. Worum geht es Ihnen?

Das Programm versucht den Vorgaben zu folgen, wie ich es mit der Meeresgöttin Amphitrite und ihrem Dreizack skizziert habe: Die eingefahrenen Sichtweisen umkehren: Herrschaft über Meer und Fischfang war in Frauenhand. Das heißt – ich hoffe, aus allen Regionen und Sprachen rings um Mittelmeer und Adria mindestens zwei Titel in meinem Programm zu haben, ich suche interessante, aufsehenerregende Belletristik und auch hervorragend erzählte Sachbücher. Es gibt aber auch Lyrik!

Ich werde dem anderen Giganten des 20. Jahrhunderts, Pier Paolo Pasolini, weit mehr als ein Italiener, zu seinem 100. Geburtstag mit ein bis zwei Bänden eine Hommage darbringen. Aufklärung, Aufrütteln, Sezierarbeit, Kritik, die Aneignung der Wirklichkeit. Menschenwürdiges Leben für alle. Und – nicht zu vergessen, Humor, Schönheit, Spiel.

Das Arabische als Mittelmeersprache war und ist mir besonders wichtig: Ziel des Verlags, einen winzigen Beitrag dazu leisten, dass das Mittelmeer wieder als ein vereinter, grenzen-loser und großartiger Kulturraum in den Fokus gerückt wird; wie einst im Mittelalter. Sizilien war über zwei Jahrhunderte ein islamisches Emirat, mit Bal’harm (Palermo) als Hauptstadt. Noch heute werden die sizilianisch-arabischen (Heimat-)Dichter gelesen, zitiert.

Unbedingt muss ich meine künstlerischen Ambitionen ausleben, was zuweilen den Dialog mit dem Graphiker etwas anstrengt. Die meisten Bücher sind Hardcover, mit Fadenheftung, Lesebändchen, bedrucktem Vorsatz, schönem Papier, exquisitem Satz. Und – zu jeder Region … Land … Sprache versuche ich eine endemische Fischart oder ein Wassergetier zu finden.

Welche Visionen haben Sie für Ihr verlegerisches Schaffen?

Nun, ich wäre schon glücklich, wenn ich es zu meinen Lebezeiten schaffte, mindestens jeweils zwei Werke aus den mediterranen Regionen und Sprachen zu veröffentlichen; an Junge, sehr viel Jüngere weitergeben, was ich und die Bücher ihnen geben können, vor allem grenzenlose Begeisterung und nie versiegende Neugierde. Allein schon der Besitz von Büchern verlängert das Leben – quod erat demonstrandum.

Denn wie wir auch jetzt sehen: Das Medium Buch hat sich bewährt, es bewahrt, es ist nicht an physische Begegnung geknüpft, bietet aber dennoch – Wissen, Tiefe, Unterhaltung, ästhetische Erfahrung.

Herzlichen Dank, Monika Lustig, für das Gespräch und viel Erfolg für Ihren Verlag!

Website des Verlags: https://www.edition-converso.com/ die Edition CONVERSO bei Facebook

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